Elektrofahrzeuge (EVs) finden weltweit eine enorme Verbreitung. Sie werden eine wichtige Rolle in einem dezentralen Energiesystem und beim Übergang zu einer Netto-Null-Gesellschaft spielen. Für Energieversorger bieten EVs Herausforderungen und Chancen zugleich. Deswegen hat Landis+Gyr zwei Unternehmen im Bereich des EV-Ladens übernommen: Etrel und True Energy. Mit diesen Akquisitionen erweitern wir unser Angebot um Ladetechnik und intelligente Software für Demand Response und das Flexibilitätsmanagement.
Wir sprachen mit Miha Levstek, CEO von Etrel, über die Entwicklungen auf dem Markt für Elektromobilität, die Herausforderungen und Chancen im Energiesektor und darüber, wie Landis+Gyr, Etrel und True Energy helfen können, diese zu meistern.
Über Etrel
Seit 2007 entwickelt Etrel innovative Ladelösungen, mit denen EVs von statischen Verbrauchern zu zentralen Bausteinen einer intelligenten Netzinfrastruktur werden. Das Produktportfolio an stabilen und skalierbaren Lösungen richtet sich an Betreiber von Ladepunkten und Elektromobilitätsdienstleister, die dazu beitragen wollen, E-Fahrzeuge in die Energieinfrastruktur zu integrieren, um erneuerbare Energien für die Elektromobilität besser nutzbar zu machen.
Miha Levstek, CEO von Etrel
Etrel wurde letzten Sommer von Landis+Gyr übernommen. Was ist der Hintergrund der Übernahme? Was bedeutet sie für Etrel und Landis+Gyr?
Miha: Mit dem stärkeren Aufkommen der E-Mobilität in den letzten Jahren konnte Etrel ein exponentielles Wachstum verzeichnen. Wir waren nun auf der Suche nach einem strategischen Partner, der uns bei der Planung der Unternehmensprozesse und -struktur unterstützt, um die weltweite Einführung unserer INCH-Ladestationen voranzutreiben und dabei die von uns angestrebte Produkt- und Servicequalität zu gewährleisten. Landis+Gyr ist ein hervorragender Partner mit einer mehr als 120-jährigen Produktionstradition. Landis+Gyr steht für Qualität und legt, wie wir auch, grossen Wert auf langjährige Kundenbeziehungen und Nachhaltigkeit.
Mit Etrel und True Energy übernimmt Landis+Gyr einen Anbieter von interaktiven Ladestationen und Software für das Stationsmanagement sowie einen Lösungsanbieter für Demand-Response und das Flexibilitätsmanagement. Damit baut Landis+Gyr sein umfassendes Lösungsportfolio für den Energiesektor weiter aus. Es reicht nun von der Verbrauchsmessung über das intelligente Infrastrukturmanagement bis hin zu interaktiven Ladestationen und Flexibilitätsdienstleistungen.
An der Spitze des Unternehmensbereichs E-Mobilität wird Etrel sein volles Potenzial ausschöpfen und gemeinsam mit Landis+Gyr und True Energy die zukünftigen Mobilitätstrends gestalten können.
Wie sehen Sie den aktuellen Stand der E-Mobilität und insbesondere das Laden von E-Fahrzeugen?
Miha: Um die Ziele des IEA-Szenarios für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssen bis 2030 weltweit 230 Millionen Elektrofahrzeuge auf die Strasse gebracht werden. 2020 war mit Sicherheit ein Wendepunkt für den Absatz von Elektroautos. Dennoch müssen Hersteller und Verbraucher die Einführung von E-Fahrzeugen beschleunigen, um die Klimafolgen des Verkehrs zu begrenzen. Ob der Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen gelingt, hängt immer noch stark von der Entwicklung der nötigen Infrastruktur und Dienstleistungen ab.
Im Jahr 2020 werden weltweit 1,3 Millionen öffentlich zugängliche Ladestationen zur Verfügung stehen. China ist international führend bei der Verfügbarkeit von öffentlichen Ladestationen und stellt mehr als die Hälfte aller Ladestationen weltweit. An zweiter Stelle steht Europa, wo die Installationen bis 2020 um 30 % zunehmen werden. Trotz des soliden Wachstums, insbesondere in den nördlichen Regionen, entwickelt sich die E-Mobilität in Europa mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die erwartete Aktualisierung der EU-Verordnung zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe wird in der EU die Weichen für das nächste Jahrzehnt stellen. Auch wenn nicht alle vorgeschlagenen Änderungen ideal sind, treibt die Verordnung vor doch das intelligente und vernetzte Laden voran. Sie fordert mehr Zugänglichkeit und Informationen sowie mehr Klarheit über die Rolle und den Einfluss des Stromsektors und seiner Dienstleistungen.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für den Energiesektor und die Versorgungsunternehmen im Zusammenhang mit der E-Mobilität?
Miha: Die Energieversorger sollten eine wichtige Funktion bei der Beschleunigung der breiteren Einführung der E-Mobilitätsinfrastruktur übernehmen. Sie haben Millionen von Kunden, die vom traditionellen Verbrennungsmotor auf E-Fahrzeuge umsteigen werden – eine ganz spezielle Ausgangslage.
Da der Grossteil der Ladevorgänge zu Hause stattfinden wird, ist mit einer zusätzlichen Belastung des Stromnetzes zu rechnen, wenn in Spitzenzeiten viele Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden. Daher sind Investitionen in die Netzinfrastruktur erforderlich, um die Kapazität zu erhöhen und einen stabilen Betrieb zu gewährleisten. Aber deren Umfang kann verringert werden, wenn man E-Fahrzeuge als steuerbare dynamische Lasten betrachtet. Um flexibel auf die Nachfrage reagieren zu können, müssen Versorgungsunternehmen eine intelligenten Netzinfrastruktur entwickeln, Anreizen für den Einsatz von intelligenten und vernetzten Ladegeräten schaffen und eine IT-Infrastruktur aufbauen, die eine Beteiligung der Endkunden an den Energiemärkten ermöglicht,
Die derzeitigen Netznutzungsentgelte richten sich nach der installierten oder maximalen Leistung. Aufgrund des ungünstigen Verhältnisses von Spitzen- zu Durchschnittsleistung belasten sie die Betriebskosten erheblich. Die Energieversorger müssen die Entwicklung der Ladeinfrastruktur fördern, indem sie neue Tarifmodelle auf Basis der Netznutzungsentgelte einführen, um den Betreibern von Ladestationen den Markteintritt oder den Ausbau ihres Geschäfts zu erleichtern.
Wie können Etrel und Landis+Gyr dazu beitragen, diese Aufgaben zu bewältigen und die Potenziale auszuschöpfen?
Miha: Die Elektromobilität steht derzeit vor drei grossen Hürden: die Verfügbarkeit von Elektroautos, die Ladeinfrastruktur und das Lastmanagement. Natürlich versuchen wir nicht, das erste Problem zu lösen, aber wir entwickeln Lösungen für die anderen beiden.
Dank unserer kürzlich erweiterten Fertigungsanlagen konnten wir die Produktionskapazität vervierfachen. Dadurch, dass wir die Auftragsabwicklung und damit auch die Implementierung vor Ort beschleunigen, können unsere Partnern die intelligente Ladeinfrastruktur in ihren jeweiligen Märkten schneller ausbauen.
Das Thema Lastmanagement gehen wir mit unserer Technologie des Interactive Charging direkt angegangen. Das ultimative Ziel ist es, Netzüberlastungen zu vermeiden und die Sicherheit und Qualität der Energieversorgung zu gewährleisten. Sowohl die INCH-Ladestationen als auch das OCEAN-Ladepunkt- und Energiemanagementsystem bieten umfassende Lastmanagement-Funktionen. Darüber hinaus stärkt Interactive Charging auch die Nutzung erneuerbarer Energien für die Stromversorgung von E-Fahrzeugen, was für die Zukunft der E-Mobilität entscheidend ist.
Durch die Kombination seines bestehenden Energiemanagement-Portfolios mit den Lastmanagement-Funktionen von Etrel und der Flexibilitätsdienstleistungs-App von True Energy für Endkunden, die die Flexibilität auch ausserhalb des Ladens von Elektrofahrzeugen erweitert, verfügt Landis+Gyr über ein komplettes Lösungsportfolio für den Energiesektor.
Was unterscheidet Etrel von anderen Unternehmen im Bereich des Ladens von Elektrofahrzeugen?
Miha: Wir glauben, dass Elektrofahrzeuge eine langfristige Lösung für die Probleme der Luftverschmutzung, des Klimawandels und der Energieeffizienz sein können – vorausgesetzt, sie werden mit nachhaltig erzeugter Energie betrieben. Wir wollen einen Beitrag zur Dekarbonisierung des Individualverkehrs leisten. Deshalb haben wir unsere Produkte nach den Prinzipien des interaktiven Ladens entwickelt.
Die interaktive Ladetechnologie von Etrel harmonisiert den Ladebedarf von Fahrzeugen oder anderen Verbrauchern und die Stromversorgung im Gebäude, die lokale Energieerzeugung und die Netznachfrage. Aus einer Reihe von Lastmanagementregeln, Live-Daten und voreingestellten Schwellenwerten entsteht ein Ladeplan, der sicherstellt, dass die Fahrzeuge geladen sind, wenn sie gebraucht werden, defekte Sicherungen oder Überlastungen des lokalen Netzes aber ausschliesst.
Unser integriertes Portfolio aus INCH-Ladestationen und dem OCEAN-Ladepunkt- und Energiemanagementsystem stellt ein einzigartiges Angebot in Bezug auf kombinierte Funktionalitäten und unmittelbare betriebliche Auswirkungen dar. Es wurde entwickelt, um den Energieverbrauch beim Laden von EVs im gesamten Ökosystem der Elektromobilität zu steuern und zu kontrollieren. So können Elektrofahrzeuge ein wesentlicher Bestandteil intelligenter Netze werden und die erforderliche Flexibilität für die Massenintegration erneuerbarer Energiequellen bieten.