Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung treiben die Energiewirtschaft. Verteilnetzbetreiber stehen vor neuen Aufgaben und immer grösseren Herausforderungen beim zuverlässigen Betrieb resilienter Netze. Wie weit sind Sie bei der IoT-Transformation und der OT/IT-Konvergenz?
Die Pandemie als Beschleuniger
In den fast zwei Jahren der Pandemie wurden viele Branchen schwer getroffen, andere florierten. Unbestreitbar ist jedoch, dass COVID-19 die Digitalisierung in allen Bereichen um durchschnittlich sechs Jahre beschleunigt hat. In einer Umfrage waren 96 % aller befragten Entscheider der Meinung, dass die Pandemie ihre Digitalisierungsbemühungen beschleunigt hat, 66 % sagten sogar, dass dies in hohem Masse der Fall war. Diese Studie von twilio zeigt ausserdem, dass die Energiebranche im Vergleich die grösste Beschleunigung der Digitalisierungsbemühungen verzeichnen kann – direkt nach den Technologieunternehmen. Für eine Branche, die in der Vergangenheit die Transformation eher vorsichtig und schrittweise verfolgt hat, sind das eindeutige Signale.
Treiber der Transformation
Schwankende Preise, knappe Budgets, strengere Vorschriften und eine alternde Belegschaft: Die Energieunternehmen stehen unter Druck. Unter diesen Bedingungen müssen sie die Erwartungen ihrer Kunden erfüllen und gleichzeitig die Resilienz des Netzes mit den Nachhaltigkeitszielen in Einklang bringen. Und die Akteure im Netz sehen sich nicht länger in der passiven Rolle. Sie wollen bekommen, was sie brauchen, und zwar dann, wenn sie es brauchen und das ohne die Reibungsverluste des Zwischenhandels. Zudem verlangen sie Transparenz, Kontrolle und Eigenverantwortung auf Basis aussagekräftiger Informationen.
Der moderne Netzbetreiber muss also nicht nur einen zuverlässigen Stromfluss und eine gute Stromqualität gewährleisten, Elektromobilität und erneuerbare Energien integrieren und den Zustand der Infrastruktur verbessern. Er übernimmt auch eine neue Rolle – die einer Informationsdrehscheibe. Die Betreiber von Verteilnetzen und -systemen sind also auch in der Pflicht, die richtigen Daten zu sammeln und sie den richtigen Akteuren sicher und zeitnah zur Verfügung zu stellen.
Von intelligent zu aktiv – das Internet der Energie
Das Internet der Energie (IoE) ist schon Realität. Ob bei vernetzten Sensoren oder Zählern: Durch die Konvergenz von Betriebstechnologie (OT) und Informationstechnologie (IT) lassen sich bereits heute die Erzeugung, Übertragung und Nutzung von Strom und die Einspeisung dezentraler Energiesysteme optimieren, zum Beispiel durch Monitoring, Nachfragemanagement oder dezentrale Speicherung.
Diese technologischen Fortschritte sind Wegbereiter. Sie ermöglichen multidirektionale Energie- und Informationsflüsse, Nachfrageanpassungen in Echtzeit, intelligentre Versorgungskombinationen, höhere Erträge aus bestehenden Anlagen und bessere Infrastrukturleistungen. Aber: Mit dem Aufkommen des Ambient Computing stärken nur wenige Unternehmen ihre Wertschöpfungskette und die Customer Experience mit künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen, Blockchain, Augmented und Virtual Reality oder anderen Technologien. Dabei erlauben es Echtzeitdaten, die in Algorithmen des maschinellen Lernens einfliessen, einen viel aktiveren Ansatz für das Management der immer unregelmässigeren und dezentraleren Aktivitäten im Netz zu verfolgen.
Energieversorgung 4.0 – Der Weg in die Autonomie
Bisher waren das Management kritischer nationaler Infrastrukturen und die Gewährleistung von Sicherheit, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit ein eher konservatives, risikoarmes Unterfangen. Mit dem Aufkommen informierter Prosumer, dezentraler Energieressourcen und elektrischer Fahrzeuge wächst jedoch der Bedarf an agilen, skalierbaren Ansätzen für den Netzbetrieb. Die Digitalisierung von Daten und Prozessen und die Überprüfung der eigenen Geschäftsmodelle ist für Netzbetreiber von entscheidender Bedeutung. Bei Themen wie Netzstabilität, Netzentgelte, Kunden- und Lieferantenbeziehungen oder Regulierung müssen sie sich mit der Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Digitalisierung und Demokratisierung von Daten arrangieren. Doch auch wenn OT und IT im Internet der Dinge (IoT) zusammenwachsen, stehen die meisten Unternehmen nach ganz am Anfang oder haben ihre Digitalisierungsreise gerade erst angetreten.
Nicht nur eine technologische Reise
Digitalisierung und digitale Transformation sind kein Selbstzweck. Unabhängig von der Unternehmensgrösse müssen der jeweilige OT/IT-Status, das Personal, die Kundenerwartungen usw. berücksichtigt werden. Veränderungen sollten so getaktet werden, dass der tägliche Betrieb nicht darunter leidet. Am wichtigsten aber ist, dass jede Umstellung einen Zweck erfüllt, z. B. durch die Senkung der Kapital- oder Betriebskosten, die Verbesserung der SAIDI/SAIFI-Werte, stärkere Kundenbindung, höhere Einnahmen usw. Ohne klare Ziele hätten Investitionen in das IoT, künstliche Intelligenz (KI), Blockchain, virtuelle und erweiterte Realität (VR/AR) oder robotergestützte Prozessautomatisierung (RPA) wenig Sinn.
Technologische Neugier und organisatorische Stärke allein reichen nicht, um die Transformation zu bewältigen. Sie erfordert einen Wandel in der Mentalität und Politik, neue Geschäftsmodelle, die Weiterbildung von Mitarbeitern, die Schulung von Kunden und die Entwicklung offener Standards und Interoperabilität, ganz zu schweigen von der nötigen Cyber-, Daten- und Ausfallsicherheit.
Bewusstseinswandel
Die Grenzen zwischen Verbrauchern, Erzeugern und Verteilern verschwimmen immer mehr. Das Stromnetz wird sich zu einer Plattform entwickeln, die einen dezentralen, diskriminierungsfreien Zugang zu Informationen und zu Anlagen am Netzrand ermöglicht. Die Verteilnetzbetreiber müssen die Rolle als Datendrehscheibe für Verbraucher, Prosumer, Lieferanten, Regulierungsbehörden und andere Netzteilnehmer annehmen. Dies erfordert einen Bewusstseinswandel hin zu kundenorientierten Strategien, Kooperationen auf allen Ebenen, neuen Geschäftsmodellen und intelligenten Managementsystemen. Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle können dabei helfen, die enormen Möglichkeiten zu nutzen, die sich vor allem am Netzrand bieten, also an der Schnittstelle zwischen dem Versorgungsnetz und den Haushalten, Büros und der Industrie.
Aufrüstung für das grössere Netz
Das Zusammenspiel von OT/IT-Konvergenz, politischem Willen und makroökonomischen Kräften bringt uns einer Welt des allgegenwärtigen, sicheren Zugangs zu sauberer, zuverlässiger Energie näher. Dazu müssen die Netzbetreiber jedoch zu einer neuen Art von digitalen Industrieunternehmen werden, die die Geschwindigkeit und Elastizität der Cloud sowie die vorausschauende Intelligenz von KI und maschinellem Lernen nutzen. In Kombination mit dem Know-how in den Bereichen Zählerwesen und Netzrandintelligenz können sie die Zukunft von Energie, intelligenten Städten und intelligenter Infrastruktur gestalten.
Mehr darüber, wie Cloud-Infrastrukturen und KI-gestützte Erkenntnisse die Erträge und die Resilienz des Stromnetzes steigern können, können Sie in einer gemeinsame Keynote von Landis+Gyr und Google Cloud auf der Digitopia 2021 erfahren. Ihr Thema: “How cloud-driven infrastructure & services enable carbon neutrality".