In der letzten Novemberwoche haben wir an der Enlit Europe 2022 in Frankfurt teilgenommen. Dieser große Event für die europäische Energiebranche folgte der COP27 und rückte Menschen, Projekte und Technologien in den Fokus, die die Energiewende vorantreiben. Aus den zahlreichen Gesprächen, den Hub Sessions, Keynotes und Panels des Gipfels nehmen wir viele Erkenntnisse mit nach Hause. Hier ist ein kurzer Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse.
Die diesjährige Enlit-Konferenz war ein deutlicher Aufruf zum Handeln. Nur sieben Jahre bevor das Reduktionsziel für 2030 erreicht werden muss, herrscht Einigkeit darüber, dass wir zwar über die nötige Technologie für die Umgestaltung unserer Energie-Infrastruktur verfügen, aber auch unser Denken und unser regulatorisches Umfeld verändern müssen. Während mehrere Redner auf die Ukraine-Krise, die Energiesicherheit und die Auswirkungen auf Europa und den Rest der Welt eingingen, sprach Greg Jackson, CEO von Octopus Energy, von der Notwendigkeit, sich von überkommenen Sichtweisen und der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu befreien.
1. Die Notwendigkeit einer größeren Energiesicherheit
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und ihrer Auswirkungen auf Europa und die Welt unterstrichen mehrere Redner und Diskussionsteilnehmer die Bedeutung des Schutzes kritischer nationaler Infrastrukturen. Trotz der OT/IT-Konvergenz der Netztechnologien und der größeren Angriffsflächen in der fortschrittlichen Messinfrastruktur (AMI) gaben die meisten EVU bzw. Podiumsteilnehmer an, dass sie nicht ausreichend darauf vorbereitet sind, die neuen Bedrohungen in der Energieversorgung 4.0 zu verhindern, zu erkennen, zu bekämpfen und zu entschärfen. Es fehlt ein durchgängiger Ansatz für die Netzresilienz und AMI-Sicherheit.
Von der Bewältigung von Schwankungen, Störungen und Ausfällen bis hin zur Erkennung und Verhinderung von Cyber-Bedrohungen oder Betriebsanomalien – der Schutz des Netzes beschränkt sich nicht nur auf die Hardware-, Kommunikations-, Software- und Cloud-Ebene, sondern auch auf Produktionsprozesse.
2. Flexibilität für ein immer dynamischeres Netz
Die Überlastung der Netze ist in Europa zu einem großen Problem geworden, da erneuerbare Energien zügig ans Netz gehen und Elektrofahrzeuge neue und unregelmäßige Lastprofile mit sich bringen. Wenn zu viele erneuerbare Energiequellen oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge in das Netz integriert werden, ohne die Infrastruktur vorzubereiten oder zu aktualisieren, kann dies zu Engpässen, Unterbrechungen und Problemen führen, wie die Situation in den Niederlanden gezeigt hat. Hier kann das Flexibilitätsmanagement helfen. Louise Rullaud, Leiterin des Teams Distribution & Market Facilitation bei Eurelectric, erklärte, dass Flexibilität ein effizientes Instrument für Netzbetreiber bei der Beseitigung von Engpässen ohne weitere Einspeisung oder zusätzliche Technik ist. In ihrer Hub-Session über Technologien im Niederspannungsnetz sprach Ifigeneia Stefanidou darüber, wie Smartgrid Technologien im Niederspannungsnetz den DSOs die Sichtbarkeit und Kontrolle bringen kann, die sie benötigen, um regulatorische Verpflichtungen zu erfüllen und eine flexible, widerstandsfähige Netzinfrastruktur bereitzustellen.
3. Netze müssen modernisiert und digitalisiert werden
Um sicherzustellen, dass das Netz nicht zum Engpass bei der Transformation wird und optimale Bedingungen für Technologien herrschen, die eine massive Dekarbonisierung ermöglichen, muss das gesamte Energiesystem digitalisiert werden. Um regulatorische Verpflichtungen zu erfüllen und eine widerstandsfähige Netzinfrastruktur bereitzustellen, benötigen die Betreiber mehr Transparenz und Kontrolle durch zeitnahe Einblicke in den Verbrauch, die Abrechnung, die Qualität der Versorgung, den Zustand der Anlagen und des Netzes sowie die Überwachung von Transformatoren, Umspannwerken und Niederspannungsnetzen im Allgemeinen.
Es ist darum von entscheidender Bedeutung, eine flexible, skalierbare und interoperable IoT-Plattform mit intelligenten Endpunkten, sicherer Kommunikation und Cloud-Anwendungen aufzubauen. Nur diese kann eine zuverlässige Energieversorgung, eine bessere Integration erneuerbarer Energien und das Aufladen von Elektrofahrzeugen gewährleisten und den Verbrauchern verwertbare Erkenntnisse zur Steuerung ihres Verbrauchs liefern. In einem Interview mit dem Gipfel sprach Werner Lieberherr, CEO der Landis+Gyr Gruppe, darüber, wie Smart Metering, Grid Edge Intelligence und intelligente Ladeplattformen die Zukunft der Energie- und Wassermobilität gestalten können.
4. EV-Laden und das Netz
Angesichts der explosionsartigen Zunahme von Ladestationen in den Städten Europas müssen wir sicherstellen, dass Elektrofahrzeuge sicher, kontrolliert und nachhaltig geladen werden, und der Netzbetrieb dabei nicht gestört wird. Beim Aufbau der Infrastruktur für 130 Millionen Elektrofahrzeuge bis 2035 wird nicht der Anstieg der Stromnachfrage, sondern die Unvorhersehbarkeit des Ladevorgangs die größte Herausforderung für das Netz darstellen. Der Aufbau intelligenter Vehicle-to-Grid-Systeme (V2G), bei denen intelligente Ladestationen ihren Betreibern die Möglichkeit geben, den Status ihrer Anlagen und die Ladevorgänge ihrer Kunden aus der Ferne zu überwachen und zu steuern, ist essenziell. In einer Hub-Session zum Thema EV und das Netz sprach unsere Referentin Tanja Messeck über interaktives Laden, Ladestellenmanagement und Ladelösungen, die dem Netz helfen sollen, die Herausforderungen zu bewältigen.
5. Kollaboration ist der Schlüssel
Partner-Ökosysteme werden mehr erreichen als Unternehmen, die es im Alleingang versuchen. Keiner der Beteiligten verfügt über das Knowhow, die gesamte Wertschöpfungskette umzugestalten, daher geht es nicht ohne Zusammenarbeit. Mögliche Kooperationsmodelle sind beispielsweise langfristige Innovationspartnerschaften mit Bildungseinrichtungen, Startup-Partnerschaften zur schnellen und umfassenden Umsetzung von Projekten oder offene Co-Innovation zwischen Partnern und sogar Wettbewerbern.
6. Der Wandel in Europa braucht regulatorische Anreize
Voraussetzung für einen erfolgreichen Systemwandel ist, dass wir gleichzeitig an politischen, wirtschaftlichen und technologischen Hebeln ziehen, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Kluft zwischen den europäischen Zielen des Green Deal und den nationalen Prioritäten und Interessen der Mitgliedsstaaten ist jedoch eher gewachsen. Die Diskrepanz zwischen den europäischen Energiezielen (Versorgungssicherheit und -zuverlässigkeit, Bezahlbarkeit von Energie, Nachhaltigkeit) und den Zielen der einzelnen Länder machen es erforderlich, diese Ziele neu zu synchronisieren. Einige Redner nannten das Versagen der Politik als das größte Risiko für die Energiewende und sahen die Notwendigkeit klarerer politischer Regelungen und von Instrumenten, mit denen sich die Fortschritte oder Misserfolge der europäischen Länder überwachen lassen.